Knowledge Markets: Mut in der Naivität
Das Geheimrezept etablierter EdTech Player? Die richtige Balance an Reflexion und Naivität, um sich nicht von unternehmerischen Herausforderungen einschüchtern zu lassen. Wie das funktioniert, haben wir uns beim Gründer und CEO von Knowledge Markets (KM) Bernd Simon angesehen.
Mit KM hat der Unternehmer seine Hausaufgaben mit extra Sternchen-Aufkleber erledigt. 2005 als Spin-off der WU mit Co-Founder Gustaf Neumann gegründet, zählt es nun zu den etabliertesten österreichischen Firmen der Branche. KM erstellt für die zwei großen Geschäftsfelder der Schulen und Unternehmen maßgeschneiderte E-Learning-Lösungen. Dabei kümmern sich 20 Mitarbeiter:innen um namhafte Kund:innen, wie Mercedes-Benz, die Walter Group, Wiener Linien oder das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Sowohl Schulen als auch Unternehmen haben ihre ganz eigenen Herausforderungen, um mit E-Learning erfolgreich zu sein. Aber mehr dazu später.
Durch die naive Gründerbrille
Aus EU-finanzierten Forschungsprojekten von Bernd Simon und Gustaf Neumann sollte ein Unternehmen werden, das war klar. Damals war das Schlagwort „technology-enhanced learning“, also technologie-verstärktes Lernen. Welchen unternehmerischen Herausforderungen Bernd dabei begegnen würde, war ihm noch nicht bewusst. Nach 16 Jahren sieht er nun – als einer der Pioniere der digitalen Bildungsbranche in Österreich – in seiner anfänglichen Unbedarftheit jedoch den Mut, überhaupt gegründet zu haben. Vielmehr bereut er, dass „noch mehr möglich gewesen wäre“, hätte er freie Zeit für Reflexion gehabt. „Die Kolleg:innen die jetzt gründen haben den Vorteil, dass sie durch Initiativen wie EdTech Austria unterstützt werden.“
Zielgruppen ändern sich, das ist okay
Der ersten großen Probe musste sich der Jungunternehmer übrigens recht schnell stellen: Es zeigte sich nämlich, dass die Hauptzielgruppe der Unis und Hochschulen nicht reichte, um das Unternehmen ins Rollen zu bringen. KM reagierte flexibel und verlagerte den Fokus kurzerhand auf den Schulsektor. Und das sehr erfolgreich – bis zur ersten Wirtschaftskrise. Die zeigte, dass es dadurch für die junge Firma eine zu große Abhängigkeit zum Staat gab. „Deshalb haben wir begonnen, ein zweites Standbein in der Corporate Welt aufzubauen.“ Diese beiden Märkte bilden bis heute das Hauptgeschäft von Knowledge Markets.
Zwei Märkte mit Bedarf an wirkungsorientierte Lernarchitekturen
Es ist genau diese Mischung aus Beharrlichkeit und Effizienz, zu reflektieren und sich neuen Gegebenheiten anzupassen, die KM in diesem dynamischen Feld so erfolgreich macht. Das tägliche Business ist dabei in Consulting und Entwicklung aufgeteilt – Firmenkund:innen nehmen mehr Beratung und Schulkund:innen fast ausschließlich Software in Anspruch. Generell gilt allerdings für beide Bereiche: „Der Schlüssel zu einem guten E-Learning ist eine gute Lernarchitektur – im technischen wie im didaktischen Sinne.“
Solche Lernarchitekturen setzen sich – wie Bauwerke – aus mehreren Bausteinen zusammen. Einerseits aus dem Fundament, der Software (auf dem digitale Lernmanagementsysteme basieren) und aus den Säulen, wie den Lerninhalten. Dazu zählen unter anderem Erklärvideos, Quizfragen oder Lernmodule zu unterschiedlichen Themen der Kund:innen, die KM bei Bedarf selbst produziert.
Dieser E-Learning Content entsteht im Rahmen der ersten Analyse, wobei der Status Quo und die Bedürfnisse der Lernumgebung der Mitarbeiter:innen erhoben werden. Denn eine Lernsoftware ist nur effektiv, wenn die Arbeitsbedingungen der zukünftig Lernenden miteinbezogen werden, beispielsweise ob und welchen Zugang es am Arbeitsplatz zu Mobilgeräten oder Computern gibt. Falls nötig, werden neue digitale Tools entwickelt. KM übernimmt außerdem die Projektsteuerung und interne Qualitätssicherung. „Durch diese maßgeschneiderten Lösungen unterscheiden wir uns von der Konkurrenz“, sagt Bernd.
Ran an die Schulen – mit innovativen Entwicklungen
KM hat auch einen erfolgreichen Zugang zu den Schulen gefunden: „Wir sind durch eine gewonnene Ausschreibung über die Schulträger in diesem Bereich aufgeschlagen und haben uns eine hochskalierbare Infrastruktur geschaffen, die Schulen und ihre Stakeholder besser miteinander vernetzt.“ Vor mittlerweile zehn Jahren hat KM mit LMS.at also die nächste Lernarchitektur geschaffen: Das digitale Lernmanagementsystem wurde als „eine Lernkollaborationsumgebung für Schulen“ konzipiert. Damit können Lehrer:innen Hausaufgaben stellen, Leistungen dokumentieren und untereinander Lerninhalte teilen. An diesem lebendigen Ort hat selbst die Kommunikation zwischen Eltern, Lehrpersonal und Schüler:innen Platz. Sogar ein digitales Konferenzzimmer gibt es. Bestenfalls läuft einfach die gesamte Schulorganisation dort ab. Das kam ausgesprochen gut an: „LMS.at hat sich damit zum meistgenutzte E-Learning Service im österreichischen Schulbereich entwickelt.“
Die Metamorphose des Schulbuchs
Eine weitere Ausschreibung brachte vor fünf Jahren den Zuschlag für den nächsten großen Auftrag im Schulsektor: die Digitalisierung des Schulbuchs. Die österreichischen Schulbuchverlage wurden hier mit einer Technologie ausgestattet, die seine Metamorphose auslöste. Damit sind die letzten Ausreden von vergessenen Lernmaterialien passe. Seither sind nämlich alle 1.900 Werke ab der Sekundarstufe 1 als E-Book auf der Plattform digi4school.at abrufbar. „Zählt man die Volksschüler:innen weg, haben mit 670.000 Accounts beinahe alle Schüler:innen Österreichs einen Zugang zu ortsunabhängigem Wissen.“
Vor drei Jahren kam eine umfangreiche Erweiterung dazu: Das E-Book+, mit multimedialen Inhalten. Hier ist KM eine digitale Lernumgebung gelungen, die auch auf LMS.at integriert werden kann. Profiteure sind vor allem Lernende, die durch Ergänzungen wie Erklärvideos, interaktiven Übungen zu weiteren Informationen oder Downloads einen großen Mehrwert in der Selbstorganisation beim Lernen erhalten. Aus dieser innovativen Lösung entstand plötzlich eine Brücke zwischen den beiden Geschäftsfeldern: Für die Software interessieren sich nun auch Unternehmenskund:innen, die damit schnell und kostengünstig eigene E-Learning Inhalte erstellen können.
Auf den Lorbeeren der letzten Jahre will sich KM trotzdem nicht ausruhen. Die Dynamik des Sektors sei groß, genauso wie der „Startup-Spirit“. Der würde sogar Bernd als „alten Hasen“ immer wieder Gänsehaut-Momente bereiten und antreiben weiterhin innovativ zu sein.
Nachgefragt bei Bernd Simon:
KM war im Bereich der Digitalisierung ein Vorreiter in Österreich – Hast du Trends wie Social Media vorausgesehen?
Nein, eigentlich nicht. Da hat sich so viel verändert in den letzten Jahren. Anfangs haben wir noch Briefe mit persönlicher Unterschrift geschickt, dann kamen langsam Newsletter. Derzeit ist LinkedIn ein großartiges Medium, gerade für den B2B Bereich. Ich sehe hier sofort Effekte – wenn ich etwas poste, bekomme ich teilweise in Sekundenschnelle Reaktionen. Außerdem spürt man Veränderungen im Marketing, man setzt zunehmend auf Geschichten. Über diese Entwicklungen freue ich mich und finde die wachsende Dynamik spannend zu beobachten!
Genauso in der EdTech Szene? Oder wie siehst du die Entwicklung der digitalen Bildungsbranche in Österreich?
Es gibt eine große Dynamik in der Branche, absolut. Meiner Meinung nach weniger wegen der Covid-Pandemie. Einfach, weil das Thema weltweit seit mehreren Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Vor zehn Jahren gab es gerade mal eine Handvoll Anbieter:innen, das war recht überschaubar. Jetzt sind es sehr viele, vor allem Content-basierte Apps. Zum Beispiel Schoolfox, die ihre Mitteilungs-App im DACH-Raum so erfolgreich vertreiben, dass sie damit mittlerweile auch im Kindergarten/KITA erfolgreich sind. Oder die enorme Erfolgsgeschichte von GoStudent. So etwas spornt auch mich an und ich finde, das sollte für jeden ein Ansporn sein, konsequent an der Weiterentwicklung seines Unternehmens zu arbeiten.
Du hast betont, dass du dich nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen willst. Was steht denn in Zukunft noch an?
Absolut, wir haben noch viel vor. Spannend im Schulbereich ist, dass wir mit starken Partnern weiter an einer neuen Lernarchitektur arbeiten. Ein schöner Meilenstein war hier das E-Book+ Format mit der Möglichkeit multimediale Inhalte zu integrieren. Im Herbst kommt hier der nächste große Puzzlestein: Lehrer:innen werden aus den Büchern heraus Aufgaben geben können. Österreich ist bei der Digitalisierung an den Schulen sicherlich im europäischen Spitzenfeld, das ist definitiv noch keine Selbstverständlichkeit.
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