Keep calm and keep learning: Die EdTech-Zukunftsreise 2024
Im März verbrachten wir drei Tage in Großbritannien, um uns mit der Zukunft von EdTech zu beschäftigen. Im Fokus standen nicht nur die kommenden Trends, sondern auch evidenzbasierte Bildungstechnologien.
Das Programm umfasste Besuche von Hochschulen und Schulen sowie Fachvorträge über das Zusammenspiel vom Bildungssystem und dem EdTech-Sektor in Großbritannien. Mit dabei waren rund 25 Teilnehmer:innen aus den Bereichen Hochschulen, Erwachsenenbildung, Consulting, Verlagswesen, Schulmöbel-Herstellung und natürlich auch EdTech-Anbieter:innen. „Diese dreitägige Reise in die Zukunft des Lernens war eine Entdeckungsreise durch Schul- und Hochschulkonzepte. Wir erhielten faszinierende Einblicke in völlig unterschiedliche Schulmodelle, die alle von einer unglaublichen Hingabe und dem Engagement der dahinterstehenden Menschen geprägt waren. Besonders beeindruckend waren die zehnjährigen Schüler der Jungenschule in Barnet, die Designerstühle mit künstlicher Intelligenz entwarfen – ein Beweis dafür, dass innovatives Denken eine entscheidende Fähigkeit in unserer Welt ist“, sagt Julia Turrell, Leiterin von EdTech Austria über die Reise.
Die Basics: Das britische Schulsystem und der EdTech-Sektor
Zu Beginn unserer Reise lernten wir das britische Schulsystem sowie den EdTech-Sektor kennen. Das britische Schulsystem unterscheidet sich vom österreichischen und gliedert sich grob in Vorschule, Primary School und Secondary School. Mit 16 Jahren können Schüler:innen erste Abschlussprüfungen (GCSE-Prüfungen) ablegen, nach denen sie entweder eine Berufsausbildung beginnen oder für weitere zwei Jahre in der Schule verbleiben können, um ihre A-Levels (vergleichbar mit der Matura) zu absolvieren.
EdTech ist mit über 1.000 Unternehmen einer der am schnellsten wachsenden Sektoren in Großbritannien – somit sitzt fast ein Viertel aller EdTech-Unternehmen aus Europa in GB. Mit dieser großen Anzahl zählt das Land zu den Vorreitern auf unserem Kontinent. Das zeigt sich auch am Risikokapital, das in Bildungstechnologien investiert wird: Das Vereinigte Königreich investiert doppelt so viel Kapital wie jedes andere europäische Land in EdTech. Damit rangiert es weltweit an dritter Stelle für VC-Investitionen.
Derzeit liegen im britischen Schulsektor die Prioritäten darin, Lehrende durch Technologie zu unterstützen, damit sie mehr Zeit mit den Schüler:innen verbringen können, in der Verbreitung der digitalen Grundbildung (digital literacy) und dem personalisierten Lernen (adaptive learning). Eine der aktuellen Fragestellungen dabei: Wie kann EdTech für eine inklusivere Lernumgebung verwendet werden? Das britische Bildungsministerium hat Richtlinien herausgegeben, um die digitalen und technologischen Standards in Schulen und Colleges zu erfüllen – jetzt lesen!
Unsere wichtigsten Erkenntnisse der Zukunftsreise
Der Einsatz von generativer KI wird im Schulalltag immer wichtiger. Aber wie kann man Lehrende dafür schulen? Manche Schulen legen eigene Vereinbarungen darüber fest, was in den Lehrplan kommt und was wer (Lehrende und Lernende) können muss. Das Thema KI begegnet uns auf der Zukunftsreise immer wieder. Alle Expert:innen, mit denen wir dazu sprechen, sind sich einig: KI ist ein Werkzeug, dass Lehrende und Lernende unterstützen kann. Richtig eingesetzt, kann es den Alltag erleichtern, zum Beispiel durch Unterrichtsvorbereitung oder personalisiertes Lernen. ABER man muss immer selbst mitdenken und die Quellen, die die KI verwendet, hinterfragen. Hierzu gehört auch, dass Schüler:innen und Lehrer:innen verstehen, wie eine KI funktioniert, wie sie lernt und wie sie Ergebnisse liefert – Stichwort: digital literacy. In vielen Schulen gibt es bereits Unterrichtseinheiten, die dies vermitteln.
KI wird in britischen Schulen und Hochschulen schon in der Testauswertung (Assessment) eingesetzt, um eine objektive Beurteilung zu ermöglichen und den administrativen Aufwand von der Lehrperson zu schmälern. In Österreich würde hier wohl der Datenschutz einen Strich durch die Rechnung machen. Über 60 % der Prüfungen in britischen Schulen wird auf der Plattform der AQA gemacht. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann auf der AQA-Website weiterlesen.
Man muss jetzt schon Schüler:innen in den Skills der Zukunft ausbilden. Aber welche Fähigkeiten sind es, die in zehn bis 15 Jahren gebraucht werden? Genau nach dieser Frage ist der Lehrplan des DLD College in London ausgerichtet. Die angestrebten Fähigkeiten werden in interdisziplinären Fächern vermittelt. Diese andere Art des Curriculums ist nur möglich, weil es sich um eine Privatschule handelt. Was uns auf der Zukunftsreise auch immer wieder begegnet, ist der Future of Jobs Report des World Economic Forums. Dieser spielt auch eine bedeutende Rolle bei der inhaltlichen Ausrichtung des DLD Colleges. Der Erfolg des Konzepts gibt der Internatsschule recht. Der Good Schools Guide hat die Schule als „one oft he most unique and exciting schools in Britain“ ausgezeichnet. Auch Eltern können Fächer und zu vermittelnde Skills vorschlagen. Das DLD College ist eine weltweit angesehene Privatschule mit Internat für Schüler:innen im Alter von 13 bis 19 Jahren. Die über 400 Schüler:innen stammen aus 58 Nationen. Fun Fact: Eine Person davon kommt aus Österreich.
Was wir auch aus österreichischen Schulen so (noch) nicht kennen: Die Vermittlung von Wohlbefinden (well-being). Von bestärkenden Diversity-Sprüchen und Anleitungen, was man im psychischen Notfall tun kann bis zu einem eigenen Schlafcoach und Sportmöglichkeiten: Im DLD College hatten wir den Eindruck, dass den Schüler:innen die Fähigkeiten vermittelt werden, um Resilienz zu entwickeln und sich selbst um ihre psychische und körperliche Gesundheit zu kümmern. Sei es eine gesunde Schlafhygiene einzuhalten, sich jemandem anzuvertrauen oder regelmäßig laufen zu gehen.
Extracurriculare Aktivitäten stärken den Zusammenhalt und vermitteln Fähigkeiten für das reale Leben. Bei der Queen Elizabeth’s School in Barnet für Jungen im Alter von 11 bis 18 Jahren hat es uns besonders das Roboter Lab angetan. In diesem treffen sich die engagierten Schüler teilweise mehrmals am Tag außerhalb der Unterrichtszeiten, um an ihren Robotern zu schrauben und sie zu programmieren. Nebenbei lernen die Schüler, wie man gemeinsam in einem Team zusammenarbeitet und wie man seine Arbeit vor anderen präsentiert. Das hilft ihnen auch bei der Teilnahme an nationalen und internationalen Wettbewerben, wo sie regelmäßig erfolgreich sind – bis jetzt haben sie über 170 Trophäen heimgebracht.
Die Atmosphäre in dieser Schule wirkt generell sehr fokussiert, sowohl Schüler als auch Lehrpersonen scheinen sehr motiviert zu sein. Wir konnten auch Einblicke in eine Laptopklasse bekommen. Im Gegensatz zum DLD College ist diese Schule staatlich, in Barnet sind nicht nur die Schuluniformen einheitlich, sondern auch die technischen Geräte. Denn alle Schüler werden mit den gleichen PC- oder Tablet-Modellen ausgestattet. In der 450 Jahre alten Schule sollen alle die gleichen Chancen haben. Zugang bekommt man über einen anspruchsvollen Aufnahmetest: Jedes Jahr werden rund 180 der besten Köpfe des Landes aufgenommen. Die Eliteschmiede bildet die Schüler für die besten Universitäten Großbritanniens und darüber hinaus aus: Der Weg vieler Absolventen führt nach Cambridge, Oxford oder an die Ivy-League-Universitäten der USA. Auf der Schulwebsite gibt es mehr über die Performance der Schule zu erfahren.
Laptops und Tablets in Klassen fördern die transparente und kollaborative Zusammenarbeit. Die Lehrenden können Aufgaben verteilen und Mitschriften korrigieren, die Schüler:innen ihre Learnings untereinander teilen. So profitiert die ganze Gruppe voneinander.
Spin-Offs werden auch an Eliteunis immer wichtiger. Das haben wir bei unseren Besuchen beim Imperial College in London und bei der Universität Cambridge gesehen. Studierende, Lehrende und Forschende werden gezielt in Richtung Entrepreneurship gefördert. Am Imperial College in London wurden uns die Spin-Offs Insendi und Tutello vorgestellt. Insendi ist eine digitale Lernplattform, bei der das Lernerlebnis im Vordergrund steht. Lehrende können einfach und individuell ihre Kurse konzipieren und haben verschiedenste Möglichkeiten, Inhalt ihren Studierenden zur Verfügung zu stellen. Auch die administrativen Aufgaben wie Kurseinschreibungen und Beurteilungen werden dadurch erleichtert. Das Startup arbeitet derzeit mit über 25 Hochschulen weltweit zusammen. Tutello hingegen ist eine KI-Plattform für Nachhilfeunterricht. Studierende profitieren von personalisierten Lernerfahrungen, die auf ihren Kursinhalt abgestimmt sind, während Tutor:innen ihre Expertise nutzen, um KI-gesteuerten Inhalt zu ergänzen. Die Studierenden haben auch immer die Möglichkeit, einen persönlichen Tutor oder eine persönliche Tutorin in Anspruch zu nehmen.
In der Universität Cambridge haben wir das Spin-Off Camtree (Cambridge Teacher Research Exchange) kennengelernt. Camtree ist eine globale Plattform für praxisnahe Forschung im Bildungsbereich. Damit sollen Pädagog:innen unterstützt und gefördert werden, um den Unterricht und das Lernen zu verbessern. Das bedeutet, dass die Lehrenden ihre Forschungen aus der Praxis teilen, publizieren und somit anderen zitierbar zur Verfügung stellen können. Auch hier wird KI eingesetzt, zum Beispiel um aus Mitschriften, Arbeitsbüchern oder Videotagebüchern aus der Praxis Forschungsberichte zu erstellen oder um die Suche in der Onlinebibliothek zu verbessern.
KI-Analytik, Automatisierung, algorithmisches Management und digitale Assistenz: Das sind die KI-Trends in der Bildung. Beim Imperial College in London haben wir mehr über KI und ihre Auswirkung auf die Bildung und das Lernen erfahren. Betrachtet man den aktuellen Hype um generative KI, glaubt man fast, dass KI eine neue Entwicklung ist. Jedoch gibt es zum Beispiel Machine-Learning-Ansätze seit 1950/1960. Der nächste Schritt für KI sind künstliche neuronale Netzwerke. In den letzten Jahren haben sich KIs immer weiterentwickelt, mittlerweile wurde künstliche allgemeine Intelligenz (engl. AGI – artificial general intelligence) erreicht. Das bedeutet, dass KI menschenähnliche Intelligenz aufweist und sich selbst Dinge beibringen kann, für die sie nicht trainiert wurde. Die KI ist also schon „besser“ als der Mensch. Jetzt heißt es herauszufinden, was Menschen besser können und für was der menschliche Faktor unabdingbar ist.
EdTech-Tools gibt es schon seit 30 Jahren. Das heißt auch, dass sich EdTech-Anwendungen immer weiterentwickelt und dem technologischen Stand angepasst haben. Immer wieder wurde vorausgesagt, dass Technologie die Revolution ins Klassenzimmer oder in die Hörsäle bringen wird. Bis jetzt ist das nicht passiert. Beim Vortrag über die Geschichte von KI und EdTech-Anwendungen wurden wir in unsere eigene Studienzeit zurückversetzt: Wer kann sich auch noch an die Anfangszeit von Blackboard e-Learning erinnern?
Im Metaverse geht es um soziale Anwesenheit (social presence). Im Meta HQ in Kings Cross London wurde uns das Metaverse erklärt und auf die Möglichkeiten für EdTech eingegangen. Im Metaverse soll es vor allem um Präsenz gehen, ein Ort, an dem sich Freund:innen und Kolleg:innen virtuell treffen können. Zum Beispiel hält die Harvard Business School ihre Klassentreffen virtuell im Metaverse ab. Dort gibt es einen digitalen Zwilling des Campus, wo sich die Absolvent:innen treffen. Virtual und Augmented Reality Umgebungen können aber auch für das Lernen genutzt werden. Im Meta Quest Store sind viele Lern-Anwendungen abrufbar. Zum Beispiel für den Biologie-Unterricht: Man kann sich den menschlichen Körper von allen Seiten genau anschauen, unter die Haut blicken, die Muskeln freilegen bis zum Skelett hinunter. Die Lernenden können so genau und in ihrem eigenen Tempo bestimmen, was sie wann und wie sehen möchten und welche Informationen sie abrufen möchten. Zugegeben, hier haben wir auch schon einige EdTechs unter unseren Mitgliedern, die genau das seit Jahren ermöglichen. Der Vorteil von VR-Anwendungen ist der geschlossene digitale Raum, der die Gefahr der Ablenkung ausschließt – die Lernenden können sich so besser fokussieren.
Zum Abschluss: Viele Möglichkeiten, ein einheitlicher Standard fehlt
Wir konnten einen guten Überblick über den EdTech-Sektor in Großbritannien gewinnen und in viele verschiedene Bereiche hineinschnuppern. Obwohl die Voraussetzungen des britischen EdTech-Sektors sicherlich andere sind als die in Österreich, unterscheiden sich die EdTech-Anwendungen selbst nicht wesentlich von unseren. Das spricht dafür, dass sich die EdTech-Unternehmen den Bedürfnissen der Lernenden und Lehrenden anpassen und dass diese Bedürfnisse – zumindest in GB und in Österreich – gleich sind. Es gibt hier wie da eine Fülle an Möglichkeiten, immer wichtiger wird dadurch sicherlich eine unabhängige Evaluierung oder Zertifizierung der verschiedenen Tools. Zum Beispiel wie durch das ISTE-Seal oder das Gütesiegel Lern-Apps. Letzteres wird bei unserem EdTech Austria Summit am 7. Mai 2024 in Salzburg verliehen.
Vielen Dank!
Vielen Dank an alle Speaker:innen, die uns Einblicke in ihre Arbeit gegeben haben: Thea Wiltshire (UK Department for Business & Trade), Judith Rifeser (University College London), Anaghaa Wagh (ImpactEd), Adam Foley (AQA), John Jones (RGS Worcester), David Lefevre (Imperial College London), James Connor (Insendi), Rosie Loyd (Tutello), das Team der Queen Elizabeth’s School in Barnet, Rupert Wegerif (DEFI), Patrick Carmichael (Camtree), Kevin Martin (DEFI), Imogen Casebourne (DEFI Innovation Lab), Björn Haßler (EdTech Hub), Nafisa Waziri (EdTech Hub), Irfan H. Latif (DLD College London) und das Team des Meta HQ Kings Cross London.
Organisiert wurde die Reise von Advantage Austria mit Michael Müller und Peter Pesl und der Wirtschaftskammer Österreich mit Melina Schneider und Bernhard Kaufmann mit EdTech Austria als Kooperationspartner. Gefördert wurde die Reise durch go-international, einer gemeinsamen Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft und der WKÖ. Vielen Dank an alle Beteiligten, insbesondere an das Team vor Ort vom AußenwirtschaftsCenter London für die gute Betreuung!
(alle Fotos: Innovation Salzburg/Andrea Kurz)
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