Wie Lernen funktioniert und welche Rolle digitale Tools dabei spielen – das war der EdTech Austria Summit 2023
Beziehungsarbeit und Empowerment waren zwei der wichtigsten Themen beim gestrigen 2. EdTech Austria Summit im Kavalierhaus Klessheim in Salzburg. Ja richtig, denn auch im EdTech-Bereich sind sich die Expert:innen einig: Die Technologie ist ein Vehikel, um Bildung besser, individueller und gerechter zu machen. Dem Lernen zugrunde liegt allerdings die Beziehungsarbeit, der Glauben an das Potenzial und die Begeisterung der Lehrenden.
Eine gute Nachricht, vor allem für die anwesenden Lehrpersonen. Denn neue Technologien entwickeln sich rasant und sie werden nicht mehr verschwinden. Sowohl ihre Miteinbeziehung in den Unterreicht als Handwerkszeug, als auch ihre Einordnung hinsichtlich Relevanz, Glaubwürdigkeit und Auswirkungen sollten Teil des Unterrichts sein. Eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Erleichternd also, dass keine Perfektion gefordert ist, sondern die oben genannte Beziehungsarbeit und die Stärkung der Persönlichkeit. Julia Pichler, Leiterin von EdTech Austria, bringt es auf den Punkt: „Bildung = Wissen = Kompetenz = Möglichkeiten für ein gutes Leben.“
Man muss nicht programmieren können, um Einfluss auf Anwendungen zu nehmen
„Computational Empowerment“ und „Partizipatives Design“ waren ebenfalls oft genannte Kategorien. Bei ersterem geht es darum, Mitgestaltungsmöglichkeiten zu vermitteln: Aufzuzeigen, dass Anwender:innen nicht nur Konsument:innen bleiben müssen, sondern Einfluss auf digitale Angebote nehmen können und sollen. Die Bildung von kritisch denkenden Menschen mit Fähigkeit zur Reflexion und den Willen sich einzubringen, steht auch hier über der Technik. Das „partizipative Design“ schlägt in dieselbe Kerbe. Hier geht es darum, bei der Entwicklung neuer Anwendungen programmierfremde Personen miteinzubeziehen. Denn sie sind die Expert:innen, wenn es um ihre Leben und ihre Arbeitswelten geht und können wertvolle Inputs für Software liefern, die sie am Ende unterstützen soll. Als Beispiel nannte Keynote Speaker Christopher Frauenberger ein Projekt mit Kindern, an dessen Ende sie eine Art riesiges Musikinstrument entwickelten. Es besteht aus Platten, die am Boden verteilt sind und die bei deren Druck Töne abspielen. Wird der Reset-Knopf gedrückt, ist nicht mehr bekannt, von welcher Platte welcher Ton erzeugt wird. Die Kinder können spielerisch Musik machen und brauchen Zusammenarbeit, um ein harmonisches Stück zu erzeugen. Sie waren von Anfang an dabei: von der Ideenentwicklung bis hin zum Löten der Druckplatten. Sie wurden als Expert:innen ihres Lebens und des Spiels gesehen und konnten ihre Expertise einbringen.
Digitale Bildung in der Praxis: BORG Radstadt
Elias und Gloria – ihres Zeichens Schüler und Schülerin des BORG Radstadt, stellten Projekte an ihrer Schule vor. Digitalisierung durchdringt hier den Unterricht. Wer sich besonders dafür interessiert kann in verschiedenen Modulen tiefer eintauchen. Dazu gehören etwa Drohnenflug, die Arbeit mit einer Infrarotkamera oder 3D-Druck. Im Schulalltag hat Teams Einzug gehalten, wo Unterrichtsmaterialien („leserlicher als früher“, wie Elias betont) zur Verfügung gestellt werden und auch schon mal anerkannten Forscher:innen wie Harald Lesch bei ihren Vorträgen gelauscht wird. Die gesamte Schule ist zudem Teil eines regionalen MINT-Projekts, bei dem erneuerbare Energie im Mittelpunkt steht. Von der Planung eines virtuellen Windparks bis hin zur Montage eines Windrades am Dach der Volkschule, über das verschiedene Messungen laufen, wird das Thema von allen möglichen thematischen Richtungen sowie analog und digital behandelt. Peerlearning – ältere Schülerinnen und Schüler bringen den Jüngeren etwas bei – ist ebenfalls Teil des Projekts.
Der ideale Weg zu lernen ist übrigens laut Forscher Günter Maresch, Universität Salzburg, wenn man ein Thema von möglichst vielen Seiten und auf verschiedene Arten beleuchtet. Denn so würde das Wissen am besten verankert. Er war Teil des Panels zu EdTech aus der Sicht von Forscher:innen. Als Hauptentwickler der online-Lernplattform RIF 3.0, die sich dem Training und der Diagnose des räumlichen Denkvermögens widmet, hat er die Erfahrung gemacht, dass „digitale Werkzeuge Bildung unabhängig vom sozioökonomischen Status der Eltern ermöglichen“ und damit wichtige Bausteine beim Kampf für Bildungsgerechtigkeit sind. Éva Kaczkó, Forscherin im Bereich Wirtschaftspädagogik an der Universität Innsbruck gab allerdings zu bedenken, dass das Werkzeug allein nicht dafür reicht und es ein Heranführen braucht. Das hätte man in der Coronapandemie gesehen, dass die Kinder ohne Know-how und Equipment der Eltern abgehängt werden.
Vorschläge für den Einsatz im Unterricht
Das Heranführen von Lehrer:innen an digitale Tools übernahm Petra Weixelbraun, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität für angewandte Kunst und in der Abteilung für Digitalisierung am Zentrum für Lehrerinnenbildung, in ihrer Keynote. Hier stellte sie mögliche kostenlose und registrierungsfreie Tools vor. Sie brachte außerdem Vorschläge für Aufgaben und kritische Fragen mit, um mit Kindern und Jugendlichen nicht nur die Werkzeuge zu nutzen, sondern auch deren Vertrauenswürdigkeit und Auswirkungen auf Leben und Gesellschaft zu beleuchten. Zu den Tools gehörten beispielsweise Scroobly, mit dem man eine Zeichnung durch die Verbindung mit der Aufzeichnung eigener Bewegungen animieren kann oder auch die Infinite Drum Machine. Bei dieser handelt es sich um eine Sammlung von 14.000 Alltagssounds, die zu Musik zusammengestellt werden können.
Diskussion von digitalen Tools
Bei allen Möglichkeiten digitaler Anwendungen sind auch die Implikationen auf die Gesellschaft zu diskutieren und sollten ebenfalls Einzug in die Bildung halten. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion können verschwimmen, wie zum Beispiel digitale Avatare als Influencer zeigen. Sie können Standards wie Schönheitsideale setzen, wenn es keine offene und kompetente Auseinandersetzung damit gibt. Nach der Eröffnung des Metaverse wurde der Avatar einer Mitarbeiterin von einer Gruppe anderer Avatare vergewaltigt. Was macht so ein Angriff – obwohl virtuell – mit dem Gefühl der körperlichen Sicherheit? Auch Gerechtigkeit spielt bei diesen Fragen eine Rolle: Da Programmierteams häufig nicht divers sind, passieren Fehler wie, bei der Programmierung einer Healthcare-App die Erfassung des Zyklus von Frauen zu vergessen. Oder eine Gesichtserkennungssoftware, die ein dunkelhäutiges Gesicht erst erkennt, wenn eine weiße Maske übergezogen wird (Beispiele aus der Keynote von Christopher Frauenberger und dem Panel „Women leading EdTech: Frauen, die die Zukunft der Bildung gestalten“). Umso wichtiger ist es, dass reflexionsfähige Personen verschiedener Herkunft und auch aus verschiedenen Disziplinen bei der Entwicklung miteinbezogen werden.
Bildung durch Liebe
Miteinbeziehung, Gemeinsamkeit und aneinander glauben sind DIE Themen der Abschluss-Keynote von Ali Mahlodji: Er sieht Bildung nicht zuallererst als Vermittlung von Fakten, sondern als die Vermittlung der Fähigkeiten, die einem Menschen ein gelungenes Leben ermöglichen. Bei der Frage danach, was ein gelungenes Leben ist, greift er auf eine Harvardstudie zurück, die 80 Jahre lang 2.000 Menschen begleitet hat und der Frage nach dem Glück nachgegangen ist. Am Schluss steht die Erkenntnis: Das beste Leben hatten diejenigen, denen Beziehungen gelungen sind. Zu sich selbst, zu Partner:innen, zu Kolleg:innen, in Freundschaften. Bildung sei also auch eine Arbeit an der Beziehungsfähigkeit. Für Ali selbst hat dieser eine Lehrer, der ihn nach Schulabbruch und diversen Hilfsjobs an sein Talent für Informatik erinnert hat, den Unterschied gemacht, den er für ein gelungenes und erfülltes Leben gebraucht hat: Nach seiner Informatikausbildung hat er watchado gegründet und seinen Sinn darin gefunden, jungen Menschen dabei zu helfen, ihren zu finden. Unterstützt von der Technologie: „Mit ihr können wir die Leute dort abholen, wo sie sind – am Handy.“
Tl;dr
- Bei Bildung geht es nie in erster Linie um Technologie, sie kann aber Lernerfahrung inklusiver, individueller und einfacher machen.
- Es darf nicht mehr auf digitale Technologien verzichtet werden: sie werden Teil unseres Lebens bleiben und die Erlernung des Umgangs und der Auseinandersetzung damit ist heutzutage notwendig.
- Lehrer:innen können nie alles wissen. Ihr Beitrag ist sehr wichtig, um Kinder und Jugendliche zu kritischen, reflexionsfähigen und eigenständigen Menschen zu formen, damit sie mit der Komplexität und ständigen Veränderungen nicht nur umgehen können, sondern auch wissen, wie sie sie aktiv mitgestalten können.
- Behandlung im Informatikunterricht ist zu wenig, denn Technologien durchdringen unser ganzes Leben.
- Es gibt Angebote zur Einstiegshilfe für Schulen wie z. B. das Projekt ConnectedKids von Magenta.
Natürlich gibt es zu diesem Thema noch so viel mehr zu sagen und zu zeigen. Da wir hier nie alles darstellen können, laden wir euch schon jetzt zum EdTech Austria Summit 2024 ein! Und damit ihr das nicht verpasst, empfehlen wir, unseren Newsletter zur abonnieren.
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