Lebenslanges Lernen im Wandel: Chancen und Hürden von KI
Innovationen sind disruptiv und brechen bestehende Systeme auf – unabhängig davon, ob wir dafür bereit sind, oder nicht. So wird laut den Expert:innen Barbara Geyer und Roman Eckschlager neben unserer Arbeitswelt auch das lebenslange Lernen durch KI nachhaltig transformiert.
Zwei Expert:innen, eine große Übereinstimmung: Innovationen treiben Veränderungen voran – und fordern uns heraus, damit umzugehen. So wird auch die Künstliche Intelligenz (KI) im Bereich des lebenslangen Lernens und in unserer Lern- und Arbeitswelt viel Staub aufwirbeln. Wie wir uns am besten darauf vorbereiten? Wir haben die Antworten von KI-Professorin Barbara Geyer und KI-Berater Roman Eckschlager.
Was sind die größten Chancen und Herausforderungen, die KI für lebenslanges Lernen bieten kann?
Barbara: Die größte Chance ist, sich einfacher weiterbilden zu können. Und zwar für alle und in allen Lebenslagen. Ich habe zum Beispiel mit meinem Vater, der sich gerade in der Pension viel mit Philosophie beschäftigt, einen personalisierten Chatbot gebaut. Mit dem „kantianischen Tutor“ führt er jetzt Gespräche im Sinne von Kant. Hier ist für lebenslanges Lernen enorm viel möglich.
Roman: Die Zeit ist gekommen, in der wir uns konstant weiterbilden, fortbilden und generell adaptieren müssen. Es wird wichtig sein, sich immer wieder neu zu definieren, neu aufzustellen. Die größte Herausforderung ist für mich der Automation Bias. Das bedeutet, man lässt die KI-Inhalte erstellen, ohne die Quellen zu hinterfragen oder zu kontrollieren.
Wie verändert KI die Fähigkeiten, die Lernende in Zukunft benötigen werden?
Roman: Hier möchte ich Martina Gaisch (Anm.: Professorin an der FH Hagenberg mit Fokus auf Digitale Transformation) zitieren. Sie hat das sehr gut auf den Punkt gebracht: Kommunikation, Kreativität, Kritisches Denken und Kollaboration. Das sind die Future Skills, die jeder brauchen wird. Vor allem Kommunikation ist wichtig – Man muss ja auch mit der KI ordentlich kommunizieren, um die besten Ergebnisse zu erhalten.
Barbara: Man braucht weiterhin Basis-Kenntnisse. Das ist so wie beim Taschenrechner: Als dieser eingeführt wurde, mussten Mathematik-Lehrer:innen definieren, wann die Schüler:innen das neue Werkzeug nutzen dürfen und wann nicht. Man hat sich schließlich darauf geeignet, dass die Kinder trotzdem noch die Grundrechnungsarten lernen müssen, um im Alltag zurechtzukommen. Ich glaube, in einer KI-Welt müssen wir für jedes Fach ein solches Grundwissen definieren.
Wie bereiten wir die Gesellschaft darauf vor, mit den KI getriebenen Veränderungen in Bildung und Arbeit umzugehen?
Barbara: Um die Gesellschaft wirklich auf eine KI-Welt vorzubereiten, brauchen alle grundlegende digitale Kompetenzen. Das fehlt besonders bei Lehrenden oft noch. Sie sollten sich darauf einstellen, Coaches zu sein, anstatt allwissende Vortragende. KI macht jetzt viel mehr Druck in diese Richtung. Umgesetzt wurden diese Dinge bis jetzt noch nicht, weil Veränderungen für viele einfach unangenehm sind.
Roman: Für mich ist auch wichtig, wie man KI darstellt. In Japan zum Beispiel werden Roboter, die in der Pflege arbeiten, in der Bildsprache sehr positiv beworben. Die visuellen Anreize, die bei uns gesetzt werden, sind meistens negativ behaftet. Man sollte außerdem niemandem etwas vormachen – KI ist jetzt da und das wird auch so bleiben. Innovationen tun immer weh, weil sie disruptiv sind und sich dadurch vieles verändert. Darauf müssen wir uns einstellen. In Zusammenarbeit mit KI wird es darum gehen, Neues zu erschaffen, Neues zu entdecken und Dinge neu miteinander zu kombinieren.
Was für eine Rolle werden menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, kritisches Denken und Empathie in einer von KI geprägten Bildungslandschaft spielen?
Roman: Je weiter die Technologie voranschreitet, desto wichtiger wird es, Mensch zu sein. Das ist unser USP, unser Alleinstellungsmerkmal – wir sind menschlich. Das ist ja das Schöne. Wir können vieles lernen – beispielsweise auch, empathischer zu sein.
Barbara: Aus meiner Sicht wird all das wichtiger. Weil die Kompetenzen, die wir intellektuell früher gemessen haben – im Sinne des IQ – leichter von einer KI reproduzierbar sind. Ein spielerischer Ansatz ist wichtig – auszutesten, neugierig zu sein.
Was sind Worst und Best Case Scenarios, wenn es um die Kombination von KI und lebenslangem Lernen geht?
Roman: Worst Case ist der Automation Bias, also einfach unkontrolliert die KI machen zu lassen. Best Case ist, wenn KI dabei hilft, komplexe Themen einfach zu vermitteln. Ich glaube, in unserer Welt, wo alles komplexer, schwieriger und komplizierter wird, ist Einfachheit und Klarheit wichtiger denn je.
Barbara: Fantastisch ist, wenn Lernstrecken interaktiv und personalisiert gestaltet und barrierefreier werden. So können beispielsweise Videos automatisch mit Untertiteln ausgestattet werden oder jene, die Schwierigkeiten beim Lesen haben, können sich Texte vorlesen lassen. Wir können also Lernwelten mit KI an Bildungs- und Sprachniveaus anpassen und zu all dem noch passende Bilder und Videos generieren. Bei interaktiven Welten ist schon jetzt vieles möglich!
Worst Case ist die Gefahr, dass KI viele Arbeitsplätze kosten könnte, wenn man sie nur unter Gesichtspunkten der Effizienz betrachtet.
Welche Tipps habt ihr für KI-Tools?
Roman: Aus KI-Tools, die schon häufig genutzt werden, kann man noch viel mehr rausholen, als viele denken. Zum Beispiel: Wenn ich einen Bericht auf ChatGPT erstellen lasse, schreibe ich darunter „devils advocat“ und damit werden mir dann die Einwände aufgezeigt, die man dazu stellen könnte. Das ist oft sehr hilfreich für Argumente und generell, um einen kritischen Blick zu entwickeln.
Barbara: Ich empfehle Notebook LM. Man kann direkt mit den Dokumenten, die man hier hochlädt – wie PDFs oder Videos – chatten. Ich habe zum Beispiel die Arbeitsblätter und handschriftlichen Notizen meiner Tochter abfotografiert, daraus PDFs erstellt und in Notebook LM hochgeladen. Dort habe ich einen Podcast generieret, mit den Anweisungen, dass es sich bei der Lernenden um ein 12-jähriges Mädchen handelt, die sich nicht brennend für Biologie interessiert. Sie soll motiviert werden, weil sie das für einen Test lernen muss. Es kam ein altersgerechter und animierender Podcast heraus.
Das zeigt eben auch, wohin sich die Lernwelt derzeit entwickelt. Wenn ich Inhalte hochladen und Fragen generieren lassen kann, dann werde ich das in absehbarer Zeit auch in eine Lernumgebung einbinden; später vielleicht mal Videos dazu generieren können. Lernende können alles individuell anpassen. Die Art wie wir Lernunterlagen erstellen verändert sich dadurch massiv, und damit auch die Art wie wir lernen.
Vielen Dank für das Interview!
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